7.11.2020

 


Pressemitteilung von theaterperipherie und Landungsbrücken Frankfurt

 

zur Schließung der Theater

 

Im Namen der Frankfurter Theaterallianz wurde ein offener Brief zur Schließung der Kultureinrichtungen veröffentlicht. Im Headliner heißt es: "Wir protestieren entschieden gegen die bundesweite Schließung von Kultureinrichtungen wie Theater- und Konzerthäuser, Museen und Ausstellungshallen bis Ende November." theaterperipherie und Landungsbrücken Frankfurt haben diesen Brief nicht unterschrieben.

 

 

 

Das liegt nicht daran, dass wir die Schließung nicht auch traurig, frustrierend und schade finden. Das liegt auch nicht daran, dass wir im Geld schwimmen und uns die finanziellen Sorgen nicht tangieren und teils auch verzweifeln lassen. Das liegt auch nicht daran, dass wir es unnötig finden, unserer Branche mit ihren ganz speziellen Bedürfnissen in Zeiten der Pandemie eine Stimme zu geben, um auf die Folgen der Einschränkungen aufmerksam zu machen. Und es liegt zuletzt auch nicht daran, dass wir es in der aktuellen Zeit nicht wichtig finden, zusammenzuhalten, solidarisch und gemeinsam eine Forderung nach Entschädigungen zu stellen.

 

 

 

Das alles passiert in diesem Brief leider unserer Auffassung nach jedoch nicht. Wir haben den Eindruck, dass hier das Theater als ein vom Rest der Gesellschaft abgetrennter Bereich dargestellt wird. Theater ist aber keine Insel. Auch keine Insel der Seligen. Wir sind Teil der Gesellschaft. "Ja zu Maßnahmen, aber bitte nicht bei uns, denn wir haben schon genug Opfer gebracht" kann keine sinnvolle Forderung sein. Die Schließung der Kultureinrichtungen steht im Kontext der Schließung vieler anderer Branchen, die ebenfalls bereits unter dem ersten Lockdown gelitten haben: Clubs, Nagelstudios, Tattoostudios und Gastronomie, um nur einige wenige Beispiel zu nennen, die ebenso eine Reihe aufwändiger Hygienemaßnahmen eingerichtet haben und nun ebenso schließen mussten.

 

Auch wenn man davon ausgehen mag, dass sich im Theater niemand ansteckt, was im übrigen bei ca. 75% der Ansteckungen, die nicht nachvollziehbar sind, gar nicht mal erwiesen ist, sind wir im Theater nicht im luftleeren Raum unterwegs. Auch nicht gut belüftet. Wenn alle sich einig sind, dass man Kontakte so weit es geht reduzieren muss, dann ist das so und nicht zu diskutieren. Gegen ein Virus lässt sich nicht protestieren, mit einem Virus lässt sich nicht diskutieren bzw. dem Virus ist das völlig egal, wer sich ungerecht behandelt fühlt. Es geht hier nicht um uns, sondern um die Gesamtgesellschaft. Von der wir immer wieder betonen, ein existentieller Bestandteil zu sein. Und noch ist auch das individualisierte Beamen aus dem keimfreien Wohnzimmer ins infektionsfreie Theater eben nicht erfunden.

 

 

 

Wir Theaterleute müssen aufpassen, unsere Position nicht durch eine Diskursverschiebung zu schwächen, in die wir uns drängen lassen und uns aber auch selbst drängen. Die Maßnahmen gibt es nicht, weil irgendjemand Kunst und Kultur nicht so wichtig findet oder noch nicht verstanden hat oder verstehen will, wie elementar Kunst und Kultur und die daran beteiligten Menschen und Institutionen für eine demokratische Gesellschaft sind. Ja, lasst uns gerne darüber reden, welche Wertschätzung eine Gesellschaft für Kultur hat, auch gerne im Vergleich zu Autos und Flugzeugen. Aber das ist eine Diskussion, die mit Corona nichts zu tun hat.

 


Das Gefährliche ist: Hier wird ein Nebenkriegsschauplatz aufgemacht im Ton der moralisch guten Theater, die ach so verantwortungsvoll sind im Gegensatz zu Menschen, die einfach in einem Tattoostudio arbeiten oder auf dem Jahrmarkt jonglieren. Und das ist etwas, da widerspricht sich das Theater und allem, was es vorgibt in einer Gesellschaft zu sein, selbst. Es entsteht eine spalterische Diskussion über vermeintliche Hochkultur und Unterhaltungskultur, über wichtige und vermeintlich unwichtige Freizeit, die in Zeiten einer Pandemie, in Zeiten einer Situation, die die Existenz von vielen Menschen und eben nicht nur im Theater bedroht, einfach völlig unangebracht ist.

 

Wir halten es mit Amelie Deuflhard, Intendantin von Hamburgs Kampnagel, die im Freitag schreibt: "Ich halte es für absolut kontraproduktiv und sogar gefährlich, dass wir uns in einer Abgrenzungsdebatte verlieren, anstatt solidarisch zu sein: mit allen in der Branche, deren Jobs und gesamte Existenz von der Schließung betroffen und nicht erst jetzt in Gefahr sind." Es reicht nicht, die eigene gesellschaftliche Rolle zu behaupten, sondern man muss ihr auch gerecht werden.

Das bedeutet für uns, die Theater müssen selbstverständlich zu bleiben und wir dürfen zunächst auch nicht vor Publikum spielen. Das hat aber Folgen. Deswegen muss die Forderung auch ganz klar und ausschließlich heißen:
Wir als Theater kommen konkret unserer gesellschaftlichen Verantwortung nach. Und dafür wollen und müssen wir gefälligst verdammt nochmal und endlich adäquat, unbürokratisch und nachhaltig und vollständig entschädigt werden. Jetzt und auch in Zukunft.

 

 

 

Und in der vielleicht entstandenen spielfreien Zeit denken wir alle mal drüber nach, welche Funktion Theater als sozialer Ort eigentlich haben kann, soll und muss. Das, was uns da am wenigsten weiter bringt, ist eine elitäre Diskussion über Systemrelevanz, die dann auch noch verkürzt geführt wird und die Bedingtheiten des kapitalistischen Systems völlig außer acht lässt und dann auch noch wie ein kleines Kind in der Trotzphase auftritt. Wenn wir uns so verhalten, dann wundern wir uns nicht, wenn nach der Pandemie keiner mehr ins Theater gehen will - außer wir selbst.

 

 

 

Zuletzt sei ganz klar gesagt: Wir tauschen uns gerne untereinander aus, teilen die Trauer über das ausgefallene Programm, regen uns auch gerne gemeinsam darüber auf, dass es sich einfach scheiße anfühlt, am Telefon vom Jobcenter gefragt zu werden, ob man denn wieder einen Job gefunden hat und dass es sich auch scheiße anfühlt, vor Ort im Jobcenter von einem Security-Mitarbeiter aufgefordert zu werden, die Maske kurz abzulegen, um bei der Identitätsprüfung zu beweisen, dass man auch wirklich man selbst ist, der die Leistung bezieht. Das können wir in unserer Filterblase gerne besprechen und uns versuchen, gegenseitig Kraft zu geben, aber sobald es um konkrete Forderungen geht, muss klar sein: das geht uns gerade genauso wie allen anderen Menschen, die auf Leistungsbezug angewiesen sind. HARTZ IV ist scheiße und keine adäquate Grundsicherung! Und das erleben wir Künstler*Innen jetzt halt auch mal hautnah. Und wer das nicht wußte, der hat sich in den letzten 20 Jahren auch im Theater nicht wirklich für Gesellschaft interessiert. Das nun wiederum in Theater zu verwandeln wäre doch auch eine Gedankenaufgabe, über die es sich zu diskutieren lohnt. In diesem Sinne….

 

 

 

Ute Bansemir, Ewgenija Weiß, Lisa Deniz Preugschat

 

www.theaterperipherie.de

 

 

 

Linus Koenig, Sebastian Bolitz, Hannah Schassner, Ole Bechtold

 

www.landungsbruecken.org